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Der Krieg in der Ukraine hat bei vielen von uns tiefe Betroffenheit und Überforderung ausgelöst. Bei all den verschiedenen Informationsquellen und Nachrichten ist es schwer, sich vorzustellen, wie eine friedliche Lösung zum Ukraine Konflikt aussehen könnte. Alexander S. Wolf sprach mit Ekkehard Griep von der DGVN, der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, um zu verstehen, wie ein Pfad zum Frieden aussehen könnte, wie Putin dazu bewegt werden könnte, zu verhandeln, und wie wir alle den Lauf der Geschichte, wie er sich jetzt gerade verhält, noch ändern können.

Alexander S. Wolf: Alle sprechen gerade über den Krieg und ob es Russland gelingen wird, seine militärischen Ziele zu erreichen.

Aber niemand spricht über Szenarien, wie dieser Krieg diplomatisch beendet werden könnte.

Du bist Experte in Friedensprozessen. Siehst du eine diplomatische Möglichkeit, wie schnell wieder Frieden in der Ukraine geschaffen werden kann?

Ekkehard Griep: Im Moment sind wir ja bedauerlicherweise noch in einer Eskalationsphase dieses Konfliktes.

Trotzdem stimme ich dir zu, dass wir an eine friedliche Lösung denken sollten, über den Tag und über die Woche hinaus, und die Antwort auf die Frage, auf welchem Wege das passieren könnte, ist relativ klar.

Es muss ernst gemeinte Verhandlungen geben, im Rahmen eines Forums, in dem über gegenseitige Interessen gesprochen wird.

Allerdings ist das nach meinem Dafürhalten nur möglich, wenn man sich auf bestimmte Grundprinzipien verständigt, auf deren Fundament solche Gespräche auch stattfinden können.

Zu solchen Grundprinzipien gehören Vorgaben, wie sie etwa in der Charta der Vereinten Nationen stehen, zum Beispiel Respekt vor der nationalen Souveränität eines jeden beteiligten Landes und Verzicht auf Gewaltanwendung zur Durchsetzung nationaler Interessen.

Das steht übrigens auch in ähnlichen Worten in der Resolution, die in der letzten Woche von der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit beschlossen wurde.

Dort wird nicht nur der russische Angriff eindeutig verurteilt, sondern es wird eben auch diese Tür aufgemacht, hin zu Verhandlungen, hin zu Vermittlungen und hin zu einer diplomatischen Lösung.

Ekkehard Griep Ukraine Frieden
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Das muss und das wird irgendwann kommen.

Je früher, umso besser.

Und am besten, wenn es einhergeht mit einem Waffenstillstand und Einstellung dieser militärischen Besatzung.

Erst dann kann man wirklich über tragfähige Lösungen und die Wahrung gegenseitiger Interessen verhandeln.

Alexander S. Wolf: Jetzt schauen wir mal realistisch auf die Situation: wenn du jetzt Putin wärst, dann könntest Du jetzt nicht einfach einen Rückzieher machen.

Und Putin ist ja nicht Putin – Putin ist ja ein Netzwerk von Leuten.

Dieses Netzwerk Putin kann ja schlecht sagen: „na gut, wir ziehen unsere Truppen zurück, geben die Krim zurück, verlassen Donbass und die anderen besetzten Gebiete und fangen dann an, zu verhandeln.

Das hieße ja kompletter Kontroll- und Machtverlust.

Dann könnte Putin eigentlich gleich abdanken und direkt zum Strafgerichtshof gehen.

Das wird er garantiert nicht machen. Das kann er nicht machen.

Ekkehard Griep: Ich bin nicht so sicher, ob Putin für die russische Bevölkerung steht.

Was man verschiedentlich liest und hört, ist, dass er recht einsam, recht isoliert sei , und dass viele Menschen in Russland durchaus kritisch sind.

Aber sie haben Angst, sich öffentlich zu äußern, weil sie Repressionen fürchten.

Ekkehard Griep Ukraine Frieden Aussergewöhnlich Berlin Stiftung Interview
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Also möglicherweise scheint die einheitliche Position Russlands nur so, möglicherweise ist sie schon brüchig von innen heraus.

Ich kann mir vorstellen, dass es im Machtapparat Putins Leute gibt, die durchaus nachdenklich sind und nicht einfach nur dem Wort ihres Herrn folgen.

Je schlechter die sogenannte „Spezial-Operation“ in der Ukraine läuft, desto lauter und stärker werden die Kritiker werden.

Und desto mehr Druck entsteht auf Putin, aus der Eskalations- in die Verhandlungs-Phase zu kommen.

Trotzdem ist es natürlich richtig, dass ein Angebot gemacht werden muss, auf das Putin eingehen kann.

Ich sehe ein solches Angebot etwa darin, dass man eine Persönlichkeit als Vermittler ins Gespräch bringt, die für beide Seiten akzeptabel ist.

Ich kann mir hier beispielsweise den Generalsekretär der Vereinten Nationen vorstellen.

Wir sollten nicht vergessen, dass Russland ständiges Mitglied des Sicherheitsrates ist und ohne russische Zustimmung der Generalsekretär der Vereinten Nationen nicht ins Amt gekommen wäre.

Man könnte auch an eine Organisation wie die OSZE denken, in der Russland ja auch Mitglied ist.

Und von der OSZE könnte vielleicht ein Mediator oder eine Mediatoren-Gruppe benannt werden, wo auch jemand vertreten ist, der eher der russischen Seite zuzuordnen ist.

Das wäre vielleicht eine Möglichkeit, wie man Herrn Putin dazu bewegen könnte, in ernsthafte Verhandlungen einzusteigen.

Alexander S. Wolf: Gehen wir also davon aus, dass die Sanktionen und der bisherige Misserfolg der russischen Invasion zu Gesprächsbereitschaft führt.

Erste Hinweise gibt es ja schon, immerhin gehen die Telefonate mit Macron und Scholz von russischer Initiative aus.

Wird es reichen, dass die Ukraine ihre zukünftige Neutralität garantiert, die Autonomie des Donbass akzeptiert und vielleicht Russland die Krim zugesteht?

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photo by unsplash artist gayatri malhotra

Ekkehard Griep: Nicht wirklich.

Ich glaube, das muss eingebettet werden in einen größeren Rahmen.

Man könnte sich durchaus über die Sicherheitsstrukturen in Europa unterhalten, also weit über das eigentliche „Streitobjekt“ Ukraine hinaus.

Eine friedliche Regelung mit Russland geht uns alle an. Dazu muss man natürlich sagen, dass wir ja schon eine ganze Reihe von Regelungen haben: die KSZE Schlussakte von 1975, die Charta von Paris von 1990 und einiges mehr.

Es gibt Grundsätze, zu denen sich alle bekannt haben, auch in der Charta der Vereinten Nationen.

Das gibt es alles, aber ganz offensichtlich wird es jetzt von einer Seite nicht mehr so anerkannt und in Grund und Boden gestampft.

Um ein Gesprächsformat zu schaffen, an dem auch Russland teilnehmen wird, wäre ein größerer europäischer Rahmen eine Option.

Wobei es hier dann nicht um ein paar Verhandlungs-Tage, sondern möglicherweise um Jahre geht.

Wir müssen vielleicht Vieles neu aushandeln und formulieren.

Aber dieses Szenario ist auch mit Zweifeln verbunden, weil wir ja im Moment sehen, wie die gegenwärtige Ordnung, was Frieden und Sicherheit in Europa angeht, von Russland beiseite geschoben wird.

Deswegen ist es schwer und wird sehr mühevoll sein.

Aber Frieden und Sicherheit sind letztlich das Interesse aller Beteiligten, auch das Interesse Russlands.

Wir alle wollen doch in Europa gemeinsam eine Ordnung, die stabil ist und die von allen akzeptiert wird. Aber wir sehen, dass das leichter gesagt als getan ist.

Alexander S. Wolf: Zum Abschluss die Frage der Motivation Putins.

Er und seine Leute wiederholen ja mantra-artig, dass sie sich vom „Westen“, also uns, bedroht fühlen. Was könnten wir denn tun, damit Russland sich nicht mehr bedroht sieht?

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Ekkehard Griep: Da muss man zwischen der Realität und der Wahrnehmung und auch den Äußerungen Russlands unterscheiden.

Ich meine, es ist doch Allgemeingut, dass die NATO niemanden bedroht oder angreift.

Das ist überhaupt nicht denkbar, weder politisch, noch von den operativen Fähigkeiten.

Aber das ist ein Argument, das von Putin immer gebracht wird: Dass die NATO sich an die russischen Grenzen heranentwickelt hat und Russlands Sicherheit bedroht.

Für mich ist es ein vorgeschobenes Argument, das mich einfach nicht überzeugt.

Der Westen wird (wenn man das mal so als „den Westen“ bezeichnen kann), immer wieder bekräftigen – aus meiner Sicht glaubwürdig -, dass er zu den Grundsätzen steht, die in den international verbindlichen Dokumenten niedergelegt sind, die auch Russland unterzeichnet hat.

Künftig könnten sich die EU, die NATO oder einzelne Staaten vielleicht als Garantiemächte oder als Garantie-Akteure dazu verpflichten, bestimmte Vereinbarungen abzusichern, also dafür zu garantieren, dass diese eingehalten werden.

Zum Beispiel Respekt vor nationalen Grenzen, Respekt von Minderheitenrechten und so weiter.

Das ist ja ein Thema, das für Putin von Bedeutung ist, was auch nachvollziehbar ist.

Aber das müsste eben auch alles auf Gegenseitigkeit beruhen.

Die Rechte von Minderheiten und die Grenzen müssen dann auch überall geschützt werden.

Ich würde gerne noch einen anderen Aspekt anfügen, der dazu beitragen könnte, dass eine Ordnung (wie immer sie dann aussieht in der Zukunft) stabil bleibt.

Ekkehard Griep Ukraine Frieden
photo by unsplash artist etienne girardet

Es geht um Kontakte nicht nur auf staatlicher, sondern auch auf menschlicher Ebene: Die Ausweitung gegenseitiger Kontakte scheint mir essentiell – das beginnt mit Schüleraustausch, mit Kooperationen zwischen Universitäten, und das geht hin bis zu Städtepartnerschaften.

Solche Partnerschaften auf der nichtstaatlichen Ebene, die mit Leben gefüllt werden, tragen dazu bei, dass Menschen sich verstehen und nicht in Konfrontation abgleiten.

Und grundsätzlich wäre es wichtig, dass man wegkommt von diesem Denken in „Macht“ und „Einflusssphären“.

Nach dem Motto „Jedes Land hat seine Machtinteressen und da bauen wir jetzt einen Puffer drum herum“.

Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

Das war mal im 19. und 20. Jahrhundert. Aber wir sind heute in einer anderen Zeit.

Ich glaube, dieses Denken in Macht und Einflusssphären passt nicht mehr zu den heutigen Herausforderungen.

Mit vielleicht auch etwas utopischem Blick könnte man sagen: Grenzen sollten ihren Charakter als etwas Trennendes verlieren.

Grenzen stelle ich mir vor als Linien auf der Karte, aber mehr auch nicht.

Perspektivisch könnten Grenzen als zwischenstaatliche Abgrenzung und Barrieren überwunden werden, Grenzen sollten nicht in erster Linie trennen, sondern verbinden.

Das haben wir in Europa ja trotz vieler Schwierigkeiten in den letzten Jahrzehnten eigentlich ganz gut hinbekommen.

Und wenn alle, die guten Willens sind, sich einer solchen Philosophie anschließen, wäre das vielleicht eine langfristige Lösung, die auch Frieden und Sicherheit zwischen Nachbarstaaten möglich macht.

Denn was wir jetzt erleben, ist ein Kampf um Grenzen mit ganz schrecklichen und grausamen Folgen.

Das ist kein Zukunftsmodell.

Ekkehard Griep Ukraine Frieden Aussergewöhnlich Berlin Stiftung Interview
politikwissenschaftler und stellv. vorsitzender der vereinten nationen – ekkehard griep

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